30. Mai 2007

Die Euthanasie-Zentrale in der Tiergartenstraße 4

Berufsschüler stecken Euthanasie-Zentrale ab

 

Über 200.000 Menschen wurden durch das Euthanasie-Programm der Nationalsozialisten ermordet, weil sie nach deren Ideologie eine "Belastung für die Volksgemeinschaft" darstellten. Auf Befehl Adolf Hitlers sollte psychisch kranken und behinderten Personen der "Gnadentod" gewährt werden. Für die Durchführung waren die beiden "Euthanasie-Beauftragten" Philipp Bouhler und Karl Brandt zuständig. Die Nationalsozialisten benannten diese Maßnahme nach der Adresse in der Tiergartenstraße 4, an dem über 300 Beamte und Angestellte die Ermordung organisierten, Aktion T4. Heute befindet sich dort die Philharmonie und eine Bushaltestelle der BVG. Eine Gedenktafel, die in den Boden eingelassen wurde, weist zwar auf die Hintergründe hin, ist aber sehr unscheinbar.

Im April dieses Jahres haben Auszubildende im Beruf Vermessungs­techniker/-in von der Knobelsdorff-Schule einen Teil des Umrisses dieser ehemaligen Stadtvilla mit blauer Farbe sichtbar gemacht.
Dazu wurde zuerst das Flurstück, das in dieser Form heute nicht mehr existiert, anhand alter Vermessungsrisse mit Hilfe von CAD am PC konstruiert. Vom Gebäude konnten zwar Pläne (im Maßstab 1:250) beschafft werden, diese enthielten jedoch nur unzureichende Bemaßungen. Daher mussten die Auszubildenden die Maße graphisch ermitteln.

Die Eckpunkte des Gebäudes konnten in die CAD-Zeichnung eingefügt werden, so dass sie im neuen Soldner-System vorlagen. Vor Ort wurden sie Ende April 2007 mit zur Verfügung stehenden Lagefestpunkten abgesteckt. 12 Punkte wurden durch Messingmarken mit der Aufschrift "T4" hervorgehoben. Gebäudekanten und die Form der großen Eingangstreppe wurden mit 5 cm breiten blauen Linien farblich markiert. Bedingt durch die vorhandene Philharmonie, konnte nur der vordere Bereich des alten Gebäudes farblich dargestellt werden. Die gewählte Darstellung wird nach Meinung der Berufsschüler dem Ort dieses schrecklichen Verbrechens gerecht.

Die Farbe Blau geht im Übrigen auf den Initiator des Projekts, Das Blaue Kamel, zurück, der auch für die "Stolpersteine" in Berlin verantwortlich ist. Damit die Bedeutung der blauen Linien besser verstanden wird, ist geplant, Hintergrund­informationen über den Ort und das Geschehen sowie über die Arbeit an diesem Projekt mit einem Plakat vor Ort zu dokumentieren.

Für die Auszubildenden und mich, den Berufsschullehrer der Klasse 26.51, war dieses Projekt interessant und lehrreich zugleich. Die Schüler konnten weitestgehend selbstständig an wichtigen fachlichen Themen arbeiten, wie zum Beispiel das Abstecken mit Hilfe des Tachymeters, das graphische Arbeiten mit Plänen sowie die Anwendung des CAD-Progamms. Außerdem wurde das Thema Euthanasie durch Einbeziehung in den Sozialkunde-Unterrichts bearbeitet. Eine Expertin der Stiftung "Topographie des Terrors" hat im Unterricht mit einem Fachvortrag zum Thema Euthanasie große Betroffenheit erzeugt.

Das Projekt zeigt aber auch, dass die Zusammenarbeit von Berufsschule und Ausbildungs­betrieben im Vermessungswesen in Berlin gut funktioniert. Der Auftrag zur Absteckung sollte ursprünglich von einem ÖbVI erledigt werden. Dieser war aber der (richtigen) Meinung, dass das Projekt besonders für Auszubildende geeignet sei und ist damit - beim BDVI-Neujahrsempfang - an mich herangetreten. Ausgezeichnet, wir brauchen mehr solcher "echten" Projekte für die Berufsschüler/innen! Sehr hilfreich war natürlich die für uns kostenlose Bereitstellung der Vermessungsunterlagen vom Amt Mitte. Dafür nochmals herzlichen Dank.

Rainer Bartels, Berufsschullehrer
Knobelsdorff-Schule - Oberstufenzentrum Bautechnik I