04. Januar 2010

Eltern sorgen sich um die Betreuung schwerst behinderter Heimbewohner in Berlin

Pressemitteilung von Lebenshilfe Berlin e.V. und Spastikerhilfe Berlin e.V.


Mehrere hundert Eltern von Menschen mit Behinderungen und betroffene Menschen selbst diskutierten gestern Abend im Werner-Bockelmann-Haus die derzeit von der Senatsverwaltung für Soziales durchgeführten "Umstellungsbegutachtungen" aller 3.125 behinderten Heimbewohner in Berlin. Die Begutachtungen sollen die Grundlage einer neuen einheitlichen, transparenten Preisgestaltung und damit Personalbemessung in den Wohnheimen der Berliner Behindertenhilfe sein. Eingeladen hatten die Elternvereine von Lebenshilfe und Spastikerhilfe, weil sich abzeichnet, dass das neue System insbesondere Menschen mit sehr schweren Behinderungen massiv benachteiligt.  

Siegfried Bart, Vater eines 30-jährigen Sohnes, empörte sich: "Die Personalsituation gerade für Schwerstmehrfachbehinderte ist katastrophal. Zuwendung kann nicht in Minutentakten angegeben werden." Ingrid von Randow-Anschütz, Mutter einer schwerst mehrfachbehinderten Tochter, war besorgt, dass der Wohnstätte ihrer Tochter nach der Umstellung eine Kürzung der Personalausstattung um ein Drittel drohe. "Schon jetzt", mahnte sie, "reicht das Personal nicht aus. Die Eltern, die noch können, leisten Ersatz." Auch Renate Hoffmann, Mutter eines 32-jährigen, schwerst behinderten Sohnes und Mitglied im Vorstand der Spastikerhilfe, befürchtet Einsparungen zulasten schwerst behinderter Menschen. Eine Mutter kritisierte, dass Studenten die Begutachtungen durchführen. "Das sind keine Gutachter, sondern Schlechtachter", meinte ein Vater. Katarina Schneider, zweite Vorsitzende der Lebenshilfe Berlin und selbst Mutter, appellierte unter lautem Beifall an die Politik: "Es darf zu keinen Verschlechterungen in der Betreuung kommen. Eltern brauchen Vertrauen in eine gute Betreuung." 

Ulrich Arndt, der erste Vorsitzende der Lebenshilfe Berlin, forderte den anwesenden Staatssekretär Rainer-Maria Fritsch auf, den Dialog mit den betroffenen Eltern zu suchen und gemeinsam konstruktive Lösungen zu finden. Fritsch führte das Argument der Verteilungsgerechtigkeit an. Ein neues System sei notwendig, um den Bedarf behinderter Menschen nachvollziehbar abbilden zu können und für Spardiskussionen gewappnet zu sein.  

Rechtsanwalt Dr. Martin Theben bezweifelte die juristische Grundlage des Verfahrens und warnte davor, behinderte Menschen zum Objekt staatlichen Handelns zu machen. Rechtsanwalt Dr. Martin Nanzka unterstrich, dass es für dieses Verfahren keine Rechtsgrundlage gibt. Auch er warnte vor dem Rutschbahneffekt, der sich tendenziell aus den bisher erfolgten Begutachtungen ergibt. Die Eltern ermutigte er, sich gegen Verwaltungsentscheidungen zur Wehr zu setzen. Die Erfolgsquote sei hoch.  
Die beiden Elternvereine laden Staatssekretär Fritsch, Minka Dott, die behindertenpolitische Sprecherin der Linksfraktion im Abgeordnetenhaus, und Uwe Lehmann von der Senatssozialverwaltung – beide waren bei der Diskussion dabei – ein. In zwei Wohnheimen für Menschen mit unterschiedlichem Hilfebedarf können sie sich ein genaues Bild der paradoxen Auswirkungen pauschaler Zeitwerte verschaffen. Menschen mit sehr schweren Behinderungen würden nach derzeitigem Stand fast die gleiche Personalbemessung erhalten wie Menschen mit leichteren Beeinträchtigungen.  
Die Eltern haben sich als konstruktive Gesprächspartner für Politik und Verwaltung gezeigt. Auch sie begrüßen das Ziel des Berliner Senats, die Preisgestaltung in den Wohnheimen der Berliner Behindertenhilfe einheitlich und transparent zu gestalten. Wichtig ist ihnen jedoch, dass schwerst behinderte Menschen weiterhin bedarfsgerecht betreut werden. Gemeinsam mit der Senatsverwaltung und den Verbänden möchten Eltern das bundesweit vorbildliche System der Berliner Behindertenhilfe erhalten.  
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